Freitag, 1. Februar 2008

Charakterisierung: Danton - ein ,,toter Heiliger"?

In der Rede vor dem Revolutionstribunal (III, 4) stellt, Danton selbstbewusst seine Verdienste um die Republik heraus.
Er nennt den 10. August 1792 und den 21. Januar 1793.
Das ertse Datum meint die Bildung des Gemeinderats, mit dessen Hilfe er die Tuilerien stürmte.
In der Folge wurde er Justizminister. Der zweite Datum meint die Hinrichtung des Königs Ludwig XVI. In besonderer Weise ist sein Name mit den Ereignissen vom 02. - 06. September 1792 verbunden.
In dieser Zeit wurden – mit seiner Duldung – weit über tausend Adlige, Königstreue und Geistliche in ihren Kerkern umgebracht.

Als „Mann des September“ (I, 5) gilt er nicht nur seinem Freund Lacroix.
Das Ansehen, welches der Revolutionär Danton genießt, wird in einer Bemerkung Robbespierres deutlich:
„Sie werden sagen, seine gigantische Gestalt hätte zuviel Schatten auf mich geworfen [...].“ (I, 6)
Das ist der Hintergrund, vor dem verständlich wird, dass Danton mit dem Ausruf „Mein Name! Das Volk!“ (I, 5) auf die ersten Anzeichen einer Bedrohung reagiert. Das mehrfach wiederholte „Sie werden's nicht wagen“ (II, 1 ; II, 4) verweist ebenfalls darauf, wie er die öffentliche Meinung über seine Person einschätzt: Als Held der Revolution wähnt er sich sicher.

Gerade die Erinnerung an die Septembermorde verdeutlichen aber auch die Gewissensnot des Menschen Danton, der der Frage nach Schuld und Verantwortung nicht ausweichen kann (II, 5).
Seine eigene Bedeutung relativierend, stellt er daher vor dem Tribunal über seine Handlung fest: „Ich bin nicht stolz darauf.“ (III, 4)
Und schon im Gespräch mit Lacoix versteht er sich weniger als
Agierender denn als Reagierender:
„Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht.“ (II, 1)
Zwar geht es hier hauptsächlich um die Frage nach der Verantwortung für gesellschaftliches handeln, aber man kann diese Äußerung ebenfalls so verstehen, dass die Erfahrung der Revolution ihre Spuren in den Revolutionären hinterlassen haben.
Aus solchen Erfahrungen heraus ist auch der folgende Dialog mit Camille zu begreifen:

Danton: Wer soll denn all die schönen Dinge ins Werk setzen?

Camille: Wir und die ehrlichen Leute.

Danton: Das „und“ dazwischen ist ein langes Wort, es hält uns ein wenig auseinander [...].
Den ehrlichen Leuten kann man Geld leihen, man kann bei ihnen Gevatter stehen
und seine Töchter an sie verheiraten, aber das ist alles!
(I, 1)


Noch deutlicher wird sein Urteil gegenüber Lacroix: „Das Volk ist wie ein Kind, es muss alles zerbrechen, um zu sehen, was darin steckt.“ (I, 5)
Der Position enstpricht ein Menschenbild, das die Möglichkeit einer echten Kommunikation zwischen Individuen leugnet.
Die Sinne der Menschen erscheinen
ihm grob und beschränkt. Die verlässliche Kenntnis vom Gegenüber erstreckt sich nur auf dessen sichtbaren Äußerlichkeiten.
Danton misstraut sowohl den Sinnen als auch der Sprache als Kommunikationsmittel, denn alle diese vermittelnden Instanzen - die „groben Sinne“ - müsste man überspringen, wollte man ein gegenseitiges Verstehen gewährleisten: „Einander kennen? Wir müsssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren.“ (I, 1)
In der Unfähigkeit, zum anderen vorzudringen, sieht Danton ein Wesensmerkmal des Menschen:

Wir sind Dickhäuter, wir strecken die Hände nacheinander aus, aber es ist vergebliche Mühe, wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab - wir sind sehr einsam. (I, 1)

Unter diesen Umständen wir revolutionäres handeln sinnlos, da es ein gemeinsames Verständnis von zu erreichenden menschlichen Zuständen - mithin
vom Menschen - voraussetzt.

Ich habe es satt; wozu sollen wir Menschen miteinander kämpfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und ruhe haben. (II, 1)

Hier klingt Dantons Epikureertum an, nach dem die Ruhe, als Ruhe der Seele, das ziel eines glücklichen Lebens ist.
Aus dem Mann des September wird so ein Gemäßigter, der von sich selbst sagt: „Ich bin nicht träge, aber müde [...].“ (II, 3), der lieber Opfer wird, als selbst zu handeln: „Ich will liebe guillotiniert werden, als guillotinieren lassen [...]“ (II, 1).

Die Figur des Danton fügt sich aber nun scheinbar in ein einheitliches Bild.
Wird der Facettenreichtum dieser Figur auch in den letzten zwei Akten deutlicher, so zeigen sich in den ersten beiden Akten, die der bisherigen Analyse zugrunde liegen, bereits Widersprüchlichkeiten. So erklärt Danton seiner Frau Julie ernsthaft seine Liebe zu ihr (I, 1) und in der fünften Szene des zweiten Aktes zeigt sich, wie sehr er ihres Beistandes bedarf.
Gleichzeitig aber unterhält er eine intensive zu Grisette Marion (I, 5).
Sein Epikureertum lässt sich auch als „lasterhaft“ bezeichnen (I, 5), sein Leben – das zeigt bereits die erste Szene – ähnelt eher dem der Adligen und unwidersprochen bleibt Lacroix' Bemerkung:

Man nennt uns Spitzbuben und (sich zu Ohren Dantons neigend) es ist, unter uns gesagt, halbwegs was Wahres dran. (I, 5)

Die Privilegien, für deren Abschaffung er einstmals kämpfte, genießt der ermüdete Revolutionär
nun selbst.
Die Annahme, das Danton verschiedene Rollen annimmt, liegt nahe. Die Rolle des ermüdeten Revolutionärs erlaubt zumindest eines:
den angstfreien Umgang mit der drohenden Gefahr:

[...] das Leben ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten. (I, 2)

Ich werde mit Mut zu sterben wissen; das ist leichter als zu leben. (II, 3)
So akzeptiert Lacroix' Feststellung:

[...] du nanntest mich einen toten Heiligen. Du hattest mehr Recht, als du selbst glaubtest.
(II, 1)



(Quelle: Interpretationshilfe Deutsch: Georg Büchner - Dantons Tod;
Interpretiert von Jörg Barke; STARK Verlag, ISBN 3-89449-497-2)

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